Ob Hörspiel, Klangcollage oder Live-Performance: Die Bandbreite an künstlerischen Formaten, die speziell für das Radio entwickelt wurden, ist groß. Unter dem Oberbegriff „Radiokunst“ werden sie insbesondere von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gefördert, die verschiedene künstlerische Sendungen in ihrem Programm aufgenommen haben. Wir geben Ihnen eine kurze Einführung in die Welt der Radiokunst und stellen die beliebtesten Formate vor, die Sie auch über DAB+ empfangen können.
Ein Blick in die Geschichte der Radiokunst
Schon in den 1920er Jahren – also unmittelbar nach der Einführung des Rundfunks in Deutschland – begannen Autoren und Kunstschaffende, das Radio als künstlerisches Medium zu nutzen. Zu den Pionieren der Radiokunst zählte unter anderem Bertolt Brecht: Sein Ziel war es, das Radio zum Kommunikationsapparat zu machen, der über die reine Verbreitung von Inhalten hinausgeht. In seinem Lehrstück „Der Flug der Lindberghs“ aus dem Jahr 1929 sollte das Publikum deshalb selbst die Hauptrolle des Stücks übernehmen, während alle anderen Rollen über das Radio gesprochen wurden. Durch die Beteiligung des Publikums wollte Brecht auch zur kritischen Reflektion über die Inhalte seines Lehrstücks anregen. So griff er den ersten Flug über den Atlantik aus dem Jahr 1927 auf, um die Beziehung zwischen Mensch und Natur sowie die Grenzen technischen Fortschritts zur Debatte zu stellen.
Die wohl bekannteste Anekdote aus der Geschichte der Radiokunst fand etwa zehn Jahre später in den USA statt. Dabei sorgte der junge Autor und Regisseur Orson Welles am Abend vor Halloween mit seiner Hörspiel-Adaption des Science-Fiction-Klassikers „Krieg der Welten“ von H.G. Wells für Aufruhr. In der Romanvorlage des Engländers hatte die Invasion vom Mars ursprünglich in der Gegend um London stattgefunden. Für das Hörspiel verlegte Orson Welles die Szenerie nach New Jersey und setzte die Invasion des us-amerikanischen Bundesstaates durch Marsmenschen derart realistisch in Szene, dass zahlreiche Hörer*innen die Sendung für eine Nachrichtenübertragung hielten, panisch auf die Straße liefen und die Telefonleitungen von Polizei und Feuerwehr zum Erliegen brachten. Für Welles war der Abend trotz anschließender Kontroversen der Beginn einer erfolgreichen Karriere: Die Einschaltquoten seiner Hörspielreihe stiegen an, und mit dem Suppenhersteller „Campbell Soups“ war kurz darauf auch ein zahlungswilliger Sponsor gefunden.
Radiokunst heute
Bis heute beschäftigt sich eine Vielzahl an Kunstschaffenden mit dem Radio als künstlerisches Medium. Für herausragende Werke werden jedes Jahr verschiedene Preise verliehen: Als wichtigste Auszeichnung für Radiokunst im Allgemeinen gilt der Karl-Sczuka-Preis, der vom SWR verliehen wird. Im Jahr 2024 wurde die Radio- und Medienkünstlerin Anna Friz für ihr Hörstück „Revenant“ ausgezeichnet, in dem sie sich mit Vergänglichkeit und Verwandlung beschäftigt und versucht, Prozesse des Verfalls hörbar zu machen.
Die bedeutendste Auszeichnung für Autor*innen deutschsprachiger Hörspiele ist dagegen der Hörspielpreis der Kriegsblinden, der im Jahr 1950, initiiert vom damaligen Schriftleiter des BUND DER KRIEGSBLINDEN DEUTSCHLANDS E.V., Friedrich Wilhelm Hymmen, ins Leben gerufen, der seitdem jährlich verliehen wird. Zuletzt wurde Robert Schoen für sein experimentelles Hörspiel „Entgrenzgänger II“ ausgezeichnet. Um den aktuellen Entwicklungen im Audiobereich Rechnung zu tragen, wird die Verleihung des Preises im Jahr 2024 pausiert, bevor sie im kommenden Jahr mit einer breiteren Ausrichtung wieder aufgenommen werden soll.
Junge Künstler*innen, die sich für Radiokunst interessieren, haben an der Bauhaus Universität in Weimar die Möglichkeit, sich mit der Produktion kreativer Radioformate auseinanderzusetzen. Der Studiengang „Experimentelles Radio“ gilt dabei als europaweit einzigartige Ausbildungsstätte für die künstlerische Beschäftigung mit dem Medium Radio.
Künstlerische Formate im aktuellen Radioprogramm
Hörspiele sind auch in Deutschland nach wie vor ein fester Teil des Programmangebots der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. So wird beispielsweise auf Deutschlandfunk Kultur jeden Mittwoch kurz nach 22 Uhr sowie sonntags um 18:30 Uhr ein Hörspiel ausgestrahlt, das von Klassikern der Weltliteratur zu unterhaltsamen Erzählungen und spannenden Dramen der Gegenwart reicht. Darüber hinaus haben auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der einzelnen Länder eine große Bandbreite unterschiedlicher Hörspiele in ihrem Programm. Hier finden Sie das aktuelle Angebot an Hörspielen und Features des Deutschlandfunks.
Doch auch experimentellere Formen der Radiokunst haben ihren Platz im öffentlich-rechtlichen Programmangebot. So lotet die Sendung „Klangkunst“ von Deutschlandfunk Kultur jeden Freitag kurz nach Mitternacht die Grenzen zwischen Literatur, Geräusch und Musik aus. Wer selbst einen Eindruck von den neusten Kompositionen gewinnen möchte, findet hier das Archiv der Klangkunst-Redaktion. Auch der WDR produziert mit dem „Studio Akustische Kunst“ eine Sendereihe, die sich auf intermediale Klangproduktionen spezialisiert hat. Beide Formate und das Angebot an Hörspieladaptionen sind über DAB+ zu empfangen.